Vermehrung
Einen neuen Apfelbaum ziehe ich mir doch einfach aus dem Kern eines Apfels, oder?
So einfach ist es bei den Obstbäumen leider nicht. Nur mit einem Edelreis (einem kleinen Ast mit Knospe der Sorte, die man haben möchte) und einer Unterlage (einem aus einem Samen gezogenen Bäumchen) kann man die gleiche Sorte erhalten.
Veredelung (umgangssprachlich: Belzen)
Unter Veredelung oder Veredlung versteht man eine traditionelle Form der künstlichen vegetativen Vermehrung von Obstsorten und Walnussbäumen.
Im Prinzip handelt es sich um eine Transplantation eines Pflanzenteiles auf eine andere Pflanze. Da beim Veredeln ein genetisches Individuum vervielfältigt wird, handelt es sich dabei um eine traditionelle Form des Klonens. Dabei wird eine sogenannte Unterlage mit einem Edelreis oder Edelauge verbunden.
Das Aufziehen von Pflanzen aus Samen, die mittels generativer Vermehrung durch Bestäubung entstanden sind, produziert nur extrem selten Nachkommen mit exakt den gleichen Eigenschaften der Elternarten. Die Technik der Veredelung erlaubt den Erhalt der Ursprungssorte als Klon. Mit diesen Methoden können einzelne Individuen multipliziert werden (alle Bäume einer Sorte sind genetisch identisch) oder über sehr lange Zeit erhalten werden (Sortenreinheit). Als prominentes Beispiel kann die fast 900 Jahre alte Apfelsorte Edelborsdorfer genannt werden, die durch stetiges Veredeln auf immer wieder neue Unterlagen erhalten werden konnte.
Obstbaumveredelung = Sortenkultivierung
Um tatsächlich einen Apfel (z.B. die Sorte „Brettacher“) mit den genau gleichen Eigenschaften (Aussehen, Reife, Geschmack, Lagerfähigkeit etc.) zu bekommen, muss ein Stück Zweig mit allen Erbinformationen des „Brettachers“ auf eine sog. Unterlage (z.B. ein anderes wildes Äpfelbäumchen) gesetzt werden. Wenn dieses Stück Zweig angewachsen ist und weitertreibt, ist garantiert, dass in jeder Zelle des „neuen“ Bäumchens ausschließlich alle Informationen zur Sorte „Brettacher“ enthalten sind. Mit dem Edelreis (Zweigstück des ausgewählten Apfelbaumes) wird somit über die zukünftige Sorte entscheiden.
Unterlagen für Obstbaumveredelung
Mit dem Edelreis entscheidet man über die zukünftige Sorte des Baumes. Mit der Unterlage wird entschieden, welche Höhe und welches Alter ein Apfel- oder Birnbaum erreicht.
Die Unterlagen unterscheiden sich im Wesentlichen durch Ihre Wurzelstärke bzw. die Wurzelentwicklung. Für einen großen hochstämmigen Obstbaum, der möglichst lange erhalten bleiben soll (Alter eines Hochstammapfelbaumes bis zu 120 Jahre), wird eine sog. „starkwachsende Unterlage“ verwendet. Je kleiner ein Obstbaum werden soll, desto schwachwüchsiger muss die Unterlage ausgewählt werden.
In aller Regel erzieht man große hochstämmige Apfelbäume auf sog. Sämlingsunterlagen. Das sind wilde Apfelbäume, die über eine starke Wurzelentwicklung verfügen und somit auch einen großen Baum mit Wasser und Nährstoffen versorgen können. Kleine Obstbäume in den Apfelplantagen werden durch die Veredelung auf schwachwüchsige Unterlagen hergestellt. Da die Bewertung und Selektion unterschiedliche Unterlagen in einer englischen Bamschule in East Malling durchgeführt wurde, tragen die unterschiedlichen Unterlagen Kürzel aus den Quartieren in der Baumschule in Malling. So steht eine M9 Unterlage für das Quartier 9 in Malling.
Häufig verwendete Unterlagen (nur eine Auswahl, nicht vollständig)
Unterlagen für Äpfel der schwach wachsenden Gruppe (Schlanke Spindel, Busch, Spalier geeignet, Baumhöhen 1,5 bis 3 m)
Äpfel: M27, M9, M26
Unterlagen der mittelstark wachsenden Gruppe (Busch oder Halbstamm, Baumhöhen 3 bis 4,5 m)
Apfel: MM106, M4, MM111, M2 oder M7
Unterlagen der stark wachsenden Gruppe (Hochstamm, Halbstamm, Baumhöhen über 5 m)
Äpfel: Sämlinge von Antonowka, Bittenfelder, Grahams und Jakob Fischer oder M25 oder M11
Veredelungsmethoden
Je nach Unterlagenstärke verwendet man verschiedene Methoden der Veredelung.
Das Edelreis ist gleich stark wie die Unterlage:
Kopulation
Das Edelreis ist etwa halb so stark wie die Unterlage:
Geißfußveredelung
Das Edelreis ist deutlich schwächer als die Unterlage:
Pfropfen hinter die Rinde (im April/Mai oder Juli/August; für das Umveredeln von älteren Obstbäumen)
Einspitzen
Anplatten
Okulation
Chip-Veredelung
Nicolieren
Wie kreiere ich eine neue Sorte?
Aus dem Erbgut zweier verschiedener Sorten wird durch die Bestäubung eine ganz neue Sorte. In den 1930er Jahren hat man intensiv daran gearbeitet, neue Apfelsorten zu züchten. Dabei wurde versucht, die Eigenschaften von zwei sog. Muttersorten zu vereinen. Eine damals häufig verwendete Muttersorte war der Apfel „Golden Delicious“. Diese Sorte war beliebt und aus Sicht der Obstbauern bot dieser Apfel mehrere positive Aspekte:
nicht alternierend (= trägt jedes Jahr reichlich)
süßer Geschmack (geringe Fruchtsäure)
wirtschaftlich gut kultivier- und vermarktbar
Nach Untersuchungen des Pomologen Hans-Joachim Bannier steckt in mehr als 50% der derzeit üblichen Tafelobstsorten, die wir im Supermarkt angeboten bekommen, die Muttersorte „Golden Delicious“.
Zum Beispiel:
Elstar, Jonagold, Gala, Cripps Pink (=Pink Lady), Rubinette und Pinova.
Auch heute werden im Labor immer wieder neue Variationen mit vorhandenen Apfelsorten gezüchtet. Erst nach langen Testjahren schaffen es ein paar wenige in den tatsächlichen Anbau und Vermarktung.
In Holland wurde 1992 eine Kreuzung aus Gala und Braeburn durchgeführt und unter dem namen Nicoter kultiviert. Seit 2002 wird dieser Apfel mit dem neuen Namen Kanzi als sog. Clubsorte (nur ausgewählte Anbaugebiete und Obstbauern, intensive Marketingmaßnahmen etc.) vermarktet. Auch die derzeit sehr bekannte Sorte Pink Lady ist eine solche „Clubsorte“. Mit außergewöhnlichen Marketingmaßnahmen und dem neuen Namen („Schenken Sie einen Pink Lady statt einer Rose“) ist es der französischen Lizenzfirma gelungen, den ursprünglich nicht besonders wohlschmeckenden und nicht besonders erfolgreichen Apfel namens „Cripps pink“ zu einem der aktuell meistverkauften Apfelsorten zu machen.
Marketing ist alles!
Wieso werden überhaupt neue Arten gezüchtet?
Ein Antrieb zur Neuzüchtung von Äpfeln ist natürlich die wirtschaftliche Weiterentwicklung des intensiven Obstbaus. Neue Sorten versprechen evtl. höhere Markterfolge.
Andererseits ist die Nutzung der Vielfalt von genetischen Informationen wichtig, um sich an klimatische Veränderungen anpassen zu können. Der Klimawandel stellt den Obstbau vor große Herausforderungen. Zur Anpassung an diese klimatischen Veränderungen, können neue Züchtungen ein wichtiger Schritt sein.
Nur wenn wir die Vielfalt unserer alten Apfelsorten jetzt erhalten, haben wir eine Chance, im Jahr 2100 noch eine Auswahl an verschiedenen Obstsorten zu haben.