Geschichte und Kultur

Wann begann alles?

Mit der römischen Besiedlung begann die Obstkultur, und mit ihr kamen die ersten Kenntnissen zur Veredelung von Bäumen.

Sind wir am Höhepunkt

Die Hochzeit des Streuobstanbaus mit einem Maximum an unterschiedlichen Obstsorten war in der Zeit des 18. und 19. Jahrhunderts.

Apfel: ca. 4000 Sorten, Birne: ca. 1500 Sorten

Warum gab es früher mehr Streuobstbäume als heute?

Das Obst der Streuobstwiesen und die Produkte daraus waren früher für viele Menschen eine zusätzliche Einnahmequelle. Deswegen pflegten sie die Bäume.

Vor 200 Jahren gab es für die Menschen keine Orangen, Maracuja, Mangos oder Ananas. Man musste sich um die Früchte kümmern, die bei uns einheimisch sind – also Apfel, Birne, Zwetschge und Kirsche.

Was geschah danach?

Seit 1965 erleben wir einen Rückgang von 20 Mio, auf 5,6 Mio. Obstbäume allein in Bayern. Das bedeutet einen Verlust von ca. 14 Millionen Streuobstbäumen...

Streuobst verschwindet

Auch wenn hier um Burgbernheim noch viele Tausende Obstbäume stehen, in Bayern ist die Zahl der Streuobstbäume stark rückläufig. Seit der letzten großen Erhebung im Jahr 1965 mit fast 20 Millionen Bäumen, haben wir aktuell nach Zahlen der Landesanstalt für Landwirtschaft in Freising noch ca. 5 Millionen Obstbäume in den Fluren stehen. Dies entspricht einem Rückgang von 70% und zeigt, wie dramatisch die Verluste sind. Vor dem Hintergrund dieses außergewöhnlichen Rückgangs sind alle Bemühungen von Seiten der Behörden (Naturschutz- und Landwirtschaftsverwaltung), Kommunen, Landschaftspflegeverbände und viele andere Organisationen zu verstehen. Wenn nichts für den Erhalt der verbliebenen Obstbestände und die Entwicklung neuer Baumbestände getan wird, ist ein weiterer Rückgang nicht mehr aufzuhalten.

Im Ländervergleich steht derzeit Baden-Württemberg mit einer Zahl von ca. 9 Millionen Bäumen an Platz 1 der Streuobstbundesländer. Die Verluste dort sind mit 50% geringer – Rückgang von 18 Millionen auf 9 Millionen - als in Bayern, aber auch dort ist der langfristige Erhalt gefährdet. Bayern war Mitte der 60er Jahre das bundesweit reichste Streuobstland.

Nach einer Erhebung des Bundesamtes für Naturschutz stehen die Streuobstwiesen in Deutschland auf der Roten Liste der Biotoptypen.

Franken – Wiege des Obstbaus

Franken galt in Expertenkreisen lange als die „Wiege des deutschen Obstbaus“. In keiner anderen Region, so die Experten, gab es so viele Obstbaumschulen und Obstkundige. Dies hat sich auch in den Fluren niedergeschlagen. Nicht von ungefähr liegt die Keimzelle der Obst- und Gartenbauvereine in Franken, nicht unweit von Burgbernheim. Am 9. Januar 1883 gründete Pfarrer Eyring den Verein zur Förderung der Obstkultur unter dem Namen „Obstbauverein Lipprichhausen” im Kreis Uffenheim (Mittelfranken). Damit war die Keimzelle der heute landesweit engagierten Organisation geschaffen und ein Schritt vollzogen, dessen landeskulturelle und ökologische Tragweite damals kaum jemand erahnen konnte. Seit 1877 wirkte Eyring als Pfarrer in Lipprichshausen und empfahl Neupflanzungen auf bis dahin ungenutzten Weideflächen und Wegsäumungen, riet dazu, den Obstanbau im Großen zu betreiben, um ihm die Bedeutung zukommen zu lassen, die ihm, so Eyring, „… in der hiesigen Gegend durch Klima und Bodenbeschaffenheit von Natur aus angewiesen ist”.

Römer brachten die Kunst des Veredelns zu uns

Die Grundlage des Obstbaus, die Kunst des Veredelns (= Kultivierung von ausgewählten Apfel- und Birnensorten mit Zweigteilen auf eine sog. Unterlage mit Wurzel) brachten uns die Römischen Besatzer bei. Diese hatten die entscheidende Kenntnis von den Griechen übernommen. Erst mit dieser Kultivierungskenntnis (aus einem Samen in einem Apfel wird ja nicht die gleiche Sorte) begann die wirkliche Obstkultur, indem in den Landschaften gefundene „gute“ Äpfel und Birnen mit der Veredelungsmethode „sortenecht“ weitervermehrt wurden. Wichtige Obstaktivisten waren Mönche, Pfarrer und Lehrer. Viele der gefundenen (Sortenhinweis „Zufallsfund“) Apfel- und Birnensorten wurden in Klöstern und Pfarrhöfen kultiviert.

Obst als Grundlage der Ernährung

Auf dem kargen Ernährungsplan unserer Vorfahren im Mittelalter standen zumeist Getreidebreie. Gemüse in unserem modernen Verständnis gab es außer einigen Kohlarten kaum. Zur Versorgung mit Ballaststoffen, Pektin und Vitaminen (nur eingeschränkte Bedeutung) war Obst ein ganz wichtiger Baustein. Vor allem in den Wintermonaten waren die gedörrten Obstvarianten (Hutzeln) – darunter in hohem Maße auch sauere Mostbirnen – ein wesentlicher Bestandteil der Ernährung. Die Bedeutung des Streuobstes als Lieferant von Äpfeln, Birnen, Zwetschgen und Kirschen als wichtige Ernährungsbausteine, reichte in den ländlichen Regionen bis weit in die 60er Jahre. Bis in diese Zeit wurden auch von jeder Generation junge Bäume nachgepflanzt.

Baumverluste durch EG Rodungsprämien

Ende der 60er Jahre begann die Bedeutung des Streuobstbaus in vielen Regionen – Ausnahmen bilden die Obstregionen am Bodensee und im Alten Land – stark abzunehmen. Dieser Bedeutungsverlust mündete in einer ersten großen EG Marktbereinigungskampagne, in der bis 1973 mit Rodungsprämien Hunderttausende von Obstbäumen gerodet wurden. Nach Zahlen aus einer Drucksache des Deutschen Bundestages von 1986 wurden zwischen 1970-1973 76,6 Mio DM EU-Rodungsprämien f. Obstbäume ausbezahlt. In einer zweiten Periode 1977 waren es 1,6 Mio DM. Bei einem Prämiensatz von 100 € je Baum wurden alleine mit diesen Rodungsinitiativen fast 800.000 Bäume entfernt.

Plantagenobst statt Streuobst

Vermarktungsobst wurde ab den 60er Jahren bereits in den zwei wichtigsten deutschen Obstbaugebieten am Bodensee und im Alten Land bei Hamburg im beginnenden Plantagenbau (bis zu 2000 Obstbäume auf sehr schwachwachsenden Unterlagen) produziert. Der Wandel vom Streuobstanbau zum intensiven Plantagenanbau entwickelte sich auch in anderen europäischen Obstregion wie in der Steiermark, Südtirol und Südfrankreich. In den letzten Jahrzehnten kamen dann die neuen Obstbaugebiete (mit EU Fördergeldern entwickelt) in Polen, Bulgarien, Moldawien und Rumänien hinzu. Im Rahmen der Globalisierung aller Wirtschafts- und Produktionszweige wurde Obst dieser europäischen Anbaugebiete mit Importen aus Neuseeland, Chile, USA und China ergänzt. Bei diesem Angebot von sog. Tafelobst (=Obst für den Frischverzehr) aus europäischem und globalem Plantagenbau war der Markt für Obst aus den Streuobstwiesen komplett zusammengebrochen. Lediglich für die Herstellung von Säften wurde und werden die Obsterträge aus Streuobst verwendet.

Walnuss – ein mächtiger Streuobstbaum in Dörfern und Fluren

Die Walnuss, einst auch wie die Kunst des Veredelns, von den römischen Besatzern aus Italien („Welschland“ – Walnuss) über die Alpen zu uns gebracht, ist ein bedeutsamer Streuobstbaum in den Fluren, aber vor allem in den Dörfern. Zwar stark frostempfindlich, aber doch in vielen Regionen stark verbreitet, boten die ölhaltigen Nüsse eine wichtige Ernährungsgrundlage über viele Jahrhunderte. Auch hier wird der „Markt“ aktuell fast ausschließlich mit Importen aus Moldawien, Ukraine, Polen, USA, Chile, Frankreich und China versorgt. Für die ca. 50-70kg Walnüsse, die jeder Walnussbaum in Dorf und Flur in einem guten Jahr trägt, gibt es neben der privaten Nutzung eigentlich keine Verwendung. Damit sinkt auch das Interesse, an der Erhaltung und der Neupflanzung von Walnussbäumen. Dies ist wirklich bedauerlich, sind doch die Früchte nicht nur aufgrund Ihres hohen Anteils an ungesättigten Fettsäuren aus ernährungsphysiologischer Sicht bedeutsam, sondern weisen unter den Nussfrüchten (Hasel-, Mandelnuss etc.) mit den höchsten Anteil an Omega-3 und Omega-6 Fettsäuren auf.

Streuobst und Klimawandel

Die Zunahme der Jahresdurchschnittstemperatur, ein Aspekt des Klimawandels, hat langfristig Auswirkungen auf die Entwicklung unserer Kulturpflanzen und damit auch auf den Obstbau. Neben den zu erwartenden Folgen mit heißen, trockenen Sommern und häufigeren Starkregen und Überschwemmungen, werden sich auch die Wuchsbedingungen für Obstbäume verändern. Aufgrund der enormen Sortenvielfalt, die klassische Streuobstwiesen noch bieten, können die Auswirkungen innerhalb dieser Sortenpalette mit hoher Wahrscheinlichkeit gegenseitig etwas kompensieren. So werden trockenheitsverträglichere Sorten profitieren und feuchteliebende Sorten (z.B. Schöner von Boskoop) evtl. in Nachteil geraten.

Entwicklung klimaverträglicher Sorten

Für die Entwicklung und Kultivierung von Apfel- und Birnensorten, die diesen veränderten Bedingungen angepasst sind, stellt die genetische Vielfalt von ca. 3000 Apfel- und 1500 Birnensorten einen wichtigen genetischen Pool dar. Das Potential dieser Sortenvielfalt im Hinblick auf klimaresistente Selektionen oder Neuzüchtungen ist ein wichtiges Zukunftsthema.

Zukunftsaufgabe CO2 Reduzierung

Ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang die CO2 Problematik. Die Reduzierung des CO2 Ausstoßes ist eines der wichtigsten politischen Ziele der kommenden Jahrzehnte. Konkret haben sich die Staatschefs der EU-Staaten auf ein umfassendes Klima und Energiepaket mit Zielen bis 2030 geeinigt. Demnach soll der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) im Vergleich zu 1990 verbindlich um mindestens 40 Prozent sinken. Vor dem Hintergrund des globalen Warenaustausches auch im Bereich von Obst- und Saftprodukten, kann mit der regionalen Nutzung bzw. Verwertung von Obst aus Streuobst ein Beitrag zur CO2-Minderung geleistet werden. Mit kurzen Transportwegen im Rahmen einer regionalen Vermarktungsstrategie, kann damit dem ambitionierten politischen Klimaziel Rechnung getragen werden.

Streuobstwiesen als CO2 Speicher

Ein Hektar Wald speichert pro Jahr über alle Altersklassen hinweg ca. 13 Tonnen CO2. Eine 120 jährige Buche speichert ca. 3,5 Tonnen CO2. Auch wenn für einen Hektar Streuobstwiese keine konkreten wissenschaftlichen Daten zur CO2 Speicherung vorliegen, lässt sich anhand der genannten Vergleichszahlen das hohe Speicherpotential einer Streuobstwiese mit ca. 80 alten Apfel- und Birnbäumen (Alterserwartung zwischen 120 und 250 Jahren) erahnen.

„Carbon footprint“

Im Rahmen einer Bachelorarbeit an der FH Triesdorf im Fachbereich „Ernährung und Versorgung“ wurden die CO2 Bilanzen im Herstellungsprozess von Streuobstprodukten mit denen aus intensivem Plantagenobstbau verglichen. Das Ergebnis fiel dabei sehr eindeutig aus. Aufgrund der hohen Bewirtschaftungsintensität mit bis zu 25 Pflanzenschutzeinsätzen und sonstigen intensiven Kulturarbeiten in der Zeit bis zur Ernte aber auch darüber hinaus, ist der „Kohlestoff Fußabdruck“ bei Plantagenobstbau um ein vielfaches höher.

Einige Gründe mehr, sich um unsere Streuobstwiesen zu kümmern.